Ganz unten in der eigenen Welt

(c) Norbert Zerr

Wieviel Wohnungslose haben wir eigentlich in Deutschland? Etwa 1 Million? Genau weiß ich es auch nicht. Tendenz steigend oder gar ausufernd.

Sie haben keine Wohnung und wir die Vorurteile. Wir sind die mit Wohnung. Die Obdachlosen sind doch Säufer, Faulenzer und was gibt es noch alles unter ihnen? Egal, das reicht zur Aufrechterhaltung des gängigen Klischees.

In meiner Polizeidienstzeit habe ich viele von ihnen kennengelernt. Ich war ja fast 15 Jahre auf der Straße, vornehmer ausgedrückt im operativen Dienst.

Auch trotz oder weil ich jetzt gerade mit meiner Kritik an Politik und System selbst unter Beschuss bin, ist mir ein immerwährender Grundsatz von mir nach wie vor wichtig. Selbst wenn dieser Grundsatz gerade von den vielen Schlaumeiern und systemtreuen Moralbürger verdreht, verkannt und passend für die rechte Ecke verwurstelt wird, gilt er für mich nach wie vor.

Aber da ist man ja schnell mit einer systemkritischen Meinung verortet. Ach ja, der Grundsatz. Ich habe immer jeden Menschen anständig behandelt; egal welche Hautfarbe, welche Herkunft oder sonst was. Nie hätte ich geduldet, dass auf meiner Dienstgruppe jemand geprügelt oder in der berühmt berüchtigten Zelle wie Abschaum behandelt wird. Aber das wusste meine Mannschaft. Es gab auch nie Probleme. Da ich allerdings überzeugter Atheist bin, galt für mich nie die biblische Eingebung mit der linken und rechten Backe hinhalten.

Hier war ich eher der Meinung, dass das Gewaltmonopol beim Staat liegen sollte.

Nun zu meinen Wohnungslosen

Einige Jahre war ich als Dozent für BVB-Maßnahmen (Berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen) bei einem Bildungsträger tätig. In der Nähe des Lehrgebäudes waren Obdachlose. Einige lagen unter einer Brücke, die sich selbst aufgegeben haben und tatsächlich ihr Leben nur noch auf Drogen und Alkohol programmiert hatten.

Ein Stückchen weiter waren ein paar, die es sich damals noch mit zeltähnlichen Unterkünften zwischen Schrebergärten stilvoll eingerichtet haben. Der Stammesälteste oder wenn man so will der Ureinwohner dieses Camps ist Günter.

Keiner von ihnen, den drei oder vieren war besoffen, stank nach Alkohol oder nimmt Drogen. Ihr Lebensstil ist einfach anders geworden. Ihre Lebensgesichte hat sie dort hin geführt, wo sie wahrscheinlich selbst nicht unbedingt gleich hinwollten. Doch sie machten und machen vorbildlich das Beste daraus.

Alle waren immer höflich und nett. Komisch die Leute von ganz unten haben oft bessere Manieren und mehr Anstand als manche Moralheuchler*innen und Ausbeuter*innen (*innen um korrekt zu bleiben) der obersten Schicht. Die habe ich ja auch auf alle Arten kennengelernt.

Mit meinen Schüler*innen (gendergerecht) besuchte ich oft meine Freunde mit Minimalunterkunft. Mit der Zeit haben sie es sich richtig schön eingerichtet und eine kleines Camp entstehen lassen. Das mit dem Platz gab immer wieder Probleme, aber hat dann doch irgendwie geklappt. Jeder hat nun dort seine notdürftige Unterkunft. Meine Schüler (männlich wie weiblich, vielleicht auch divers) kamen selbst nicht immer aus den besten Verhältnissen. Doch sie gaben was sie hatten für unsere Freunde der Unterschicht. Immer wieder kamen sie auf mich zu, können wir unseren Freunden einen Kuchen, ein wenig Geld oder andere nützliche Dinge bringen.

Ich bin ja ein harter Typ, sowieso für die gesellschaftliche Moralabteilung ein Rechtspopulist oder gar ein Nazi. Trotz dieser Eigenschaften die mir angedichtet werden, musste ich meine Tränen verbergen über die Menschlichkeit meiner Schülertruppe. Da waren Migranten, selbst ziemlich Minderbemittelte, Bio- oder Passdeutsche und zukünftige Verlierer (m wie w und d) dieser immer mieser werdenden Gesellschaft dabei. Alle waren sich immer einig und freuten sich, wenn wir wieder einen Besuch am Donauufer unserer Kreisstadt einbauten.

Aus den Anfängen

 

 

 

Mit Indi und Günter

 

Die Zelte sind jetzt stabiler

 

 

Vorbereitung einer Gesprächsrunde mit Schülernden

 

 

Immer wieder einmal haben wir ein gemeinsames Essen organisiert

 

Die Gespräche, die Erfahrungen die weitergegeben und vermittelt wurden waren stets eine Bereicherung für uns alle.

Vor allem war es immer ein wenig ein kleines Abenteuer, die Entwicklung des kleinen Camps mitzuverfolgen. Was würde der Wohnungsstratege der Grünen, Herr Dr. Anton Hofreiter, dazu sagen? Jeder von ihnen hat sein eigenes kleines Reich.

 

Günter in lockerer Gesprächsrunde auf der Wiese

Aktueller Besuch

Da ich mich anderweitig orientierte, war ich längere Zeit an anderen Orten, also fernab meiner Freunde von der Wiese, wie sie ihr Camp selbst nennen.

Vor kurzem war ich wieder in der Lehranstalt. Vielleicht kann ich wieder ein wenig dort einsteigen. Doch mittlerweile ist alles richtig sch.. geworden. Na ja, was kann man machen, außer stauen wie die stabilisierende Schicht der Gesellschaft, genannt Mittelschicht, auseinanderbricht?

 

Das war Indis kleines Heim und ist heute Günters Werkstatt – es wäre dann meine Übernachtunsmöglichkeit gewesen

Diese Politik und Gesellschaft sind vom Wahnsinn befallen.

Ecki ist ein Sozialarbeiter, der schon lange in dieser betreffenden Bildungsmaßnahme tätig ist. Er sieht zwar etwas verwildert aus, ist aber ein richtig netter Typ. Als ich kam, war seine erste Frage. Na, wann gehst du zu deinen Obdachlosen? So schnell wie möglich.

Ich habe mir ein weiteres Ritual angewöhnt. Ich achte jeden Tag auf Bewegung, am besten laufen, ca. 1 Stunde. Auch wenn es schon in den späten Abend hineingeht.

 

Die aktuellen Campbewohner der Wiese. Links Michael mit der Axt, die Günter selbst gefertigt hat. Auch den Bogen den er in der Hand hält.

 

 

 

 

Noch schnell für den unerwarteten Besuch ein wenig schick machen

Ich nutzte also meine Lauf-Tour für einen Besuch. Da es kalt war, habe ich mich gut eingepackt. Um den Hals ein Motorradtuch. Als ich zu meinen Freunden kam zog ich das Tuch bis über die Nase. Ist man ja heute gewohnt.

Das Camp hat sich leicht vergrößert.

Auf mich kam ein kräftiger bärtiger Bursche in T-Shirt zu. Ich fragte ihn gleich, ob ich bei ihnen irgendwo übernachten könnte. Ich sei auch obdachlos und suche eine Bleibe.

 

Günter zeigt mir die selbst errichtete Solar-Stromversorgung

 

 

Hier seine Bogen die er selbst fertigt. Hut ab vor der sauberen Arbeit.

 

 

Gestern..

 

und heute… – die Wiese

Das Wiedersehen

Michael aus dem Norden hat mich also begrüßt. Ohne zu wissen wer ich bin bemühte er sich um mich. Warte mal ich hole Günter. Ja, Günter mein alter Freund. Günter erkannte mich natürlich vermummt nicht. Kann er bei uns übernachten? Günter zu Michael, warte mal schaua mer (schwäbisch). Dann führte mich Günter in seine kleine Werkstatt. Früher die Unterkunft von Indi, der bei der Fremdenlegion war und jetzt im Norden ist.

Hier müsste es möglich sein. Dann zog ich das Tuch herunter. Mann Norbert, du, was für eine Freude. Ich war beeindruckt, wie ich „unbekannt“ sofort aufgenommen worden wäre. Ich weiß ja, dass Günter schon manchem eine Bleibe, wenn auch nur kurz, in seinem kleinen Camp ausfindig gemacht hat.

Sie zeigten mir ihren Umbau und im Zimmerchen von Michael lag ein Buch das er gerade liest. Ja, das kennt oder denkt man gar nicht so. Dann zeigte mir Günter was er alles so herstellt. Pfeil und Bogen, eine Axt, voll RTL-surviverfähig.

Es war ein schönes Wiedersehen mit meinem Freund Günter und seinen neuen Freunden die in ihrer eigene Welt leben.

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