Die Mär vom lieben Weihnachtsmann

(c) Pommes Leibowitz

Einzig die Tatsache, dass ihm kaum jemand je in Natura begegnet ist, kann wohl die allgemeine Verklärung, ja Apotheose des sogenannten Weihnachtsmannes erklären. Folgt man aber seinen Spuren und versucht, Licht in das Dunkel seiner Herkunft zu bringen, so tun sich wahre Abgründe auf.

Fahndung

Eines gleich vorweg: Was soll man von einem wildfremden älteren Herrn halten, der sich an kleine Kinder heranmacht, sie auf seinen Schoß setzt und ihnen Süßigkeiten schenkt? – Genau!

Beginnen wir also unsere Fahndung, decken wir Herkunft und Hintergründe dieser mysteriösen Person auf. Nur so können wir endlich zu einer objektiven Bewertung ihres Charakters und ihres Wirkens gelangen.

Ziemlich bald allerdings stellt man fest: Der Weihnachtsmann hat viele Väter und stammt aus vielen Orten. Was im Bereich der Biologie problematisch ist, ist im Bereich der Mythen und Legenden die Regel, nämlich die Kompilation von Figuren und mythologischen Ereignissen, das Verschmelzen mehrerer Personen zu einer, kombiniert mit dem wechselseitigen Abkupfern der diversen Motive aus Legenden, Sagen und Mythen aus aller Welt. Und da tut sich gerade beim Weihnachtsmann ein wahres Schreckenskabinett auf. Hier die Liste seine Väter und Vorfahren:

Der heilige Nikolaus. Eine reine Legendenfigur, ähnlich wie z. B. Robin Hood. Es gibt viele Überlieferungen, im Laufe der Jahrhunderte immer weiter ausgeschmückt, aber keinerlei gerichtsfeste Belege. Im Vergleich mit den anderen Vaterschaftsanwärtern ist der Nikolaus aber immerhin nicht ganz unsympathisch – wenn man denn auf “Heilige” steht. Nachweislich an den Weihnachtsmann vererbt hat er allerdings nur die Angewohnheit, Geschenke zu machen. Alle weiteren Parallelen hat eher der moderne Nikolaus vom Weihnachtsmann übernommen als andersherum.

Das Christkind. Diese Kunstfigur muss man unbedingt differenzieren vom hilflos in der Krippe liegenden Jesuskind, das ja seinerzeit Geschenke bekam, nicht etwa verteilte. Und obwohl das Christkind vor allem in katholisch geprägten Gegenden tätig ist, schuld ist eigentlich Martin Luther. Aufgrund der generellen Ablehnung der Heiligenverehrung versuchte er, eine Alternative zum Nikolaus zu etablieren. Eben das Christkind, das aber – gerade in protestantischen Gegenden – in ersten Entwürfen des Weihnachtsmannes einen hartnäckigen Gegner fand.

Und nicht einmal dieses „Christkind“ ist über jeden Verdacht erhaben. Kommt es doch regelmäßig als hübsches, blondes Mädchen daher (Bilder). War Jesus etwa ein Transvestit mit blondgefärbten Haaren?

Aber es kommt noch viel schlimmer, eine wahre Galerie des Schreckens: KrampusGrylaBeelzebubButzemannKnecht RuprechtTomte und die Nisser (Wichtel).

Alle diese Figuren verschmolzen schließlich zum heutigen Weihnachtsmann und bildeten eine Legierung mit weitgehend unbekannten Eigenschaften. Auch hier hatte bereits im Vorfeld eine Kompilation von Figuren und Mythen stattgefunden. Krampus, Beelzebub und Butzemann sind womöglich nur verschiedene Namen für ein teuflisches, vor allem auf die Bestrafung unartiger Menschenkinder spezialisiertes Wesen. In seiner menschlichsten Ausprägung war es der Knecht Ruprecht, der Typ mit der Rute. Alle aber waren sie – je nach Region – individuelle Begleiter des heiligen Nikolaus, die neben der himmlischen Belohnungsebene (in Form des Nikolaus) die höllische Bestrafungsebene personifizierten. Letztere oft mit weit mehr Intensität und Überzeugungskraft als erstere.

Im Weihnachtsmann flossen diese beiden Ebenen dann zu einer Person zusammen. In älteren Darstellungen hat er noch die Rute dabei (fiel später der modernen Kinderschutz-Gesetzgebung zum Opfer), während mit der Bestückung seines Beutels natürlich nur die braven Kinder beglückt wurden. Wobei ja inzwischen nicht nur die Rute, sondern auch der Begriff “brav” modernen Vorstellungen geopfert wurde. Man ist ja schon dankbar, wenn die Kinder nicht das Haus in Brand setzen oder mit Drogen handeln. Und den Aufstand, wenn es keine Geschenke geben sollte, mag sich niemand vorstellen.

Der Weihnachtsmann ist eben unter anderem auch ein Kind des Zeitgeistes. Wie schon gesagt: Viele Väter!

Apropos Zeitgeist: Aus heutiger, datenschutzrechtlicher Sicht ist natürlich auch die Allwissenheit des Weihnachtsmannes ein nicht zu unterschätzendes Problem. Er kennt alle unsere Sünden und Missetaten und führt diese sensiblen Daten in einer Person und einem Ort zusammen.

Zurück zu den eher biologischen Vätern:

Sein heutiges Aussehen und seine magischen Fähigkeit verdankt der Weihnachtsmann primär seinen skandinavischen Vorfahren, den Nissen (Wichte), speziell dem Tomte. Tomte ist ein rund 4000 Jahre alter Kobold in der Gestalt eines alten Mannes, klein aber mit riesigem Bart. Er hat magische Fähigkeiten und ist verflixt launisch. Wer ihm aber mit Achtung und Bescheidenheit gegenübertritt und angemessene Gastfreundschaft gewährt (Kekse sind immer gut), dem kann er Wünsche erfüllen. Vergleichbare Figuren gibt es natürlich auch in deutschen Sagen und Märchen. Meist hausen sie zurückgezogen in irgendwelchen Bergen oder Wäldern (Schatzhauser, Rübezahl etc.), weshalb sie wohl, im Gegensatz zu Tomte, im Laufe der Zeit in Vergessenheit gerieten.

Aus den Tomte-Legenden stammt dann auch der fliegende Schlitten, Grundrüstzeug des heutigen Weihnachtsmannes, denn wie sollte er sonst in die Kamine gelangen.

Last but not least, der wichtigste Vater überhaupt: Die Firma Coca Cola.

Sie ist verantwortlich für das endgültige Bild des heutigen Weihnachtsmannes und seine Verbreitung in die ganze Welt (spread your genes), und zwar durch eine Werbekampagne, die 1931 begann und bis heute anhält.

Am Entscheidensten waren dabei die Coca-Cola-Markenfarben Rot und Weiß. Diverse vorangegangene, regionale Inkarnationen des Weihnachtsmannes waren noch primär naturfarben gekleidet (Leder, Pelz und ungebleichte Wolle) oder, im Falle von Väterchen Frost aus Russland, blau-weiß statt rot-weiß. Und der Nikolaus war natürlich in Purpur, wie sich das für einen Bischof gehört. Der moderne Weihnachtsmann ist demnach auch und vor allem ein Markenzeichen, ähnlich wie z. B. Meister Proper. Ist er womöglich ein Agent des amerikanischen Konsumkapitalismus. Viele Indizien sprechen dafür.

Und wieder eine erschreckende Erkenntnis, denn ist nicht der amerikanische Kapitalismus der „Große Satan“, wie Sozialisten und Islamisten in unheilvoller Allianz im Gleichton verkünden?

Einmal mehr zeigte sich: Die Suche nach der Wahrheit lohnt nicht, ersetzt sie doch in der Regel nur die angenehme Illusion durch schmerzhafte Tatsachen, die eh keiner wissen will. Spulen wir zurück auf Anfang. Warum schlafende Hunde wecken, wenn Tradition, Glaube und Religion – gegebenenfalls chemisch bzw. durch geeignete Stoffe unterstützt – das Leben viel angenehmer machen. In diesem Sinne …

Alle Weihnachtsbilder habe ich jetzt auf Flickr zusammengestellt:

https://www.flickr.com/photos/pommes-leibowitz/albums/72157661591265007/with/38160097894/


Dieser Beitrag von erschien zuerst auf fischundfleisch.com am 24.12.2017. Für eine Nutzung des Textes und der Bilder, beachtet bitte sämtliche Bilder von Pommes unterliegen Attribution-NonCommercial-ShareAlike 2.0 Generic (CC BY-NC-SA 2.0). 

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