„Vox“: Die Stimme Spaniens erhebt sich

Efraimstochter (CC0), Pixabay

Dieser Beitrag von erschien zuerst am 28.April 2019 auf Arcadi-online in der Kategorie POLITIK

In Spanien wurde gewählt. Was ist aber diese „Vox“-Bewegung?

Foto: Contando Estrelas from Vigo, España / Spain – Acto de Vox en Vistalegre Acto de Vox en Vistalegre CC BY-SA 2.0

Lange Zeit war Spanien genauso wie Deutschland ein Vorzeigestaat in Europa. Während in Italien die Lega Nord schon vor vielen Jahren im Norden des Landes Wahlerfolge feierte, in Belgien der Vlaams Belang für ein freies Flandern kämpfte und der Front National in Frankreich schon seit Jahrzehnten ein Faktor der Politik ist, herrschte bezüglich rechter Politik in beiden Ländern gähnende Leere. Seit dem Ende der NS-Diktatur in Deutschland und dem der Franco-Diktatur in Spanien, die – für deutsche Ohren sicher erstaunlich – erst zwei Jahre nach dem Tod Francos 1975 vornehmlich durch den modern-liberalen König Juan Carlos ein Ende fand, konnte sich keine dauerhaft erfolgreiche Rechtspartei etablieren.

Deutschland und Spanien – Jahrzehnte lang ohne Rechtspartei

In Deutschland wurde nach 68er und der neuen „Erinnerungskultur“ alles rechts der Union direkt mit der NSDAP in Verbindung gebracht, während gleichzeitig bis in die frühen 90er Jahre hinein die Unionsparteien mit einem realpolitisch wirkungslosen aber verbal umso lauteren Rechtsflügel integrierend und vor allem neutralisierend wirkten. In Spanien war das Franco-Regime ab Mitte der 60er Jahre, als sich Francisco Franco gesundheitlich bedingt langsam zurückzog, im 68er Zeitgeist trotz spektakulärer wirtschaftlicher Erfolge unpopulär geworden. Die „Fuerza Nuova“ als Nachfolgeorganisation der faschistischen Falange konnte daher nie einen Fuß in die Tür bekommen und noch im Jahr 2007 antworteten die Spanier rückblickend auf das Ende des Franco-Regimes mit großer Mehrheit ablehnend. Etwas mehr als zehn Prozent waren es damals, die in den jeweiligen Fragen Sympathie für das katholisch-autoritäre System faschistischer Prägung zeigten.

Die „Partido Popular“ und ihre Schwesterpartei CDU/CSU integrierten lange Zeit nach rechts

Die noch sehr junge Demokratie, für die sich die Spanier 1977 mit überwältigenden 95 Prozent Zustimmung aussprachen, war in den letzten Jahrzehnten nie ernsthaft gefährdet oder herausgefordert (von einem gescheiterten Putschversuch in den frühen 80ern einmal abgesehen). Auch schaffte es keine Rechtspartei, den Schatten Francos zu Überwinden und sich als neue, selbstständige rechte Kraft zu inszenieren. Ähnlich wie in Deutschland CDU und CSU hatte deren spanische Schwesterpartei PP daran ihren Anteil. Sie verstand es, katholische und nationalistische Kräfte zu binden.

Auch die Finanzkrise brachte Spanien keine Rechtspartei

2008 sollte die Finanzkrise das Land jedoch hart erwischen. Bis heute hat Spanien sich trotz einiger Erfolge nicht wirklich erholen können und die Arbeitslosenquote liegt immer noch bei über 15 Prozent. Bei den Parlamentswahlen 2015 konnten sich dann tatsächlich zwei neue – allerdings insbesondere gesellschaftspolitisch – eher linke Parteien etablieren: Die klar linke „Podemos“ und die bürgerlich-liberalen „Ciudadanos“, die irgendwo zwischen FDP, Freie Wähler und österreichischen Neos zu verorten sind. Eine Rechtspartei war weiter nicht einmal am Horizont zu erblicken, selbst halbwegs erfolgreiche Kleinparteien gab es nicht.

„Hogar Social“ als metapolitischer Wegbereiter der spanischen Wende

Allenfalls die an Casa Pound orientierte Hausbesetzungs-Bewegung mit subkulturellem Einschlag „Hogar Social“ um die unkonventionelle Aktivistin Melisa Domínguez Ruiz konnte mit ihren stark sozialpolitisch orientierten Aktionen eine große Schar loser Sympathisanten mobilisieren. Doch ähnlich wie Pegida oder auch die Identitäre Bewegung ist sie bislang auf den metapolitischen Raum beschränkt und würde vermutlich auch scheitern, würde sie ihr Metier verlassen und als Partei auftreten.

Das ist jedoch wohl auch gar nicht mehr nötig, denn 2018 sollte tatsächlich das Jahr werden, in dem auch in Spanien das noch zarte Pflänzchen einer erfolgreichen Rechtspartei aufkeimen sollte. „Vox“ heißt das sich ideal in die rechtspopulistische Parteienfamilie einfügende Gewächs. Genauso wie die AfD wurde Vox eigentlich im Jahr 2013 gegründet – als erklärte Abspaltung der „spanischen CDU“ PP. Die zunächst verlautbarten Ziele und Abspaltungsgründe waren der Verhandlungskurs der PP mit der baskischen Terrororganisation ETA sowie der Wunsch nach einer Revision des spanischen Föderalismus hin zu einem zentralistischen Staat, der insbesondere das Baskenland und Katalonien weniger begünstigen würde.

Vox war zunächst eine erfolglose Abspaltung der spanischen CDU

Wenig verwunderlich holte man damit niemanden hinter dem Ofen hervor und so führte VOX vier Jahre lange ein Schattendasein als völlig irrelevante Kleinstpartei. 2014 erzielte sie bei ihrer ersten Wahlteilnahme mit 1,56 Prozent bei den Europawahlen noch einen bescheidenen Erfolg, aber bei den nationalen Parlamentswahlen 2016 ging sie mit 0,2 Prozent unter.

Der Katalonien-Konflikt und Premier Sanchez als „spanische Merkel“ beflügelten Vox

Die Zuspitzung des Katalonien-Konflikts 2017 und 2018 führte im Rest von Spanien in konservativen Gesellschaftsschichten jedoch zu einer Zunahme des Patriotismus und der nationalen Identität. Zudem wurde die konservative Sammlungsbewegung im Frühjahr 2018 von einem Korruptionsskandal erschüttert und verlor an Bindungswirkung. Als sich Ende 2018 dann der sozialistische Premierminister Pedro Sanchez anschickte, Deutschland als „Refugees Welcome“-Paradies abzulösen und von der resoluten Rechtsregierung in Italien abgelehnte Bootsflüchtlinge und andere illegale Migranten ins Land einzuladen, kamen die im Laufe der Jahre zunehmend migrations- und islamkritisch gewordenen Positionen endgültig immer besser an. Im letzten Jahr konnte die Partei ihre Mitgliederzahlen von 3000 auf über 10.000 mehr als verdreifachen.

Der spanische Salvini heißt Santiago Abascal Conde

Einen Anteil daran dürfte auch der Umstand haben, dass der vom Charisma auf einer Stufe mit Bernd Lucke stehende Parteigründer und Philosoph José Luis González Quirós mittlerweile durch den jungen, höchst adretten, stark an Matteo Salvini erinnernden Santiago Abascal Conde ersetzt wurde. Der vierfache Familienvater füllte in Madrid Anfang Oktober eine Halle mit 10.000 Menschen, zahlreichen weiteren Gästen wurde wegen Überfüllung der Eintritt verwehrt. „Wir lieben Europa, wir sind Europa – das können wir mit mehr Recht als andere sagen. Denn wir haben Europa vor dem vorrückenden Islam geschützt: In sieben Jahrhunderten Reconquista!“, rief der euphorisch gefeierte  Conde seinen Anhängern zu.

Gesellschaftspolitisch erzkonservativ und identitär

Neben einer harten Linie gegen Islam und illegale Einwanderung legt Vox aber auch ganz besonderen Wert auf eine konservative Familien- und Gesellschaftspolitik und ist diesbezüglich wahrscheinlich konsequenter als die meisten anderen europäischen Rechtsparteien. Vox kämpft leidenschaftlich gegen Abtreibung, Gender-Mainstreaming, feministische „Frauenförderung“ und natürlich Homo-Lobbyismus und ist gleichzeitig für den Erhalt geschlechtergetrennter katholischer Privatschulen. Die unverkennbar dem Katholizismus zuneigende Haltung hat in der spanischen Rechten eine lange Tradition: Anders als etwa Hitler und die NS-Ideologie waren Franco und sein Regime von Beginn an stark klerikal geprägt. Franco war bis zu seinem Tod überzeugter, traditioneller Katholik und in seinem Staat bekleideten Opus Dei Mitglieder zahlreiche Führungspositionen.

Alte Franco-Seilschaften? Unterstützerkreise in Kirche und Militär

Kein Wunder also, dass der Bischof von Cordoba Demetrio Fernandez sich über den ersten richtigen Wahlerfolg von Vox bei den Regionalwahlen in Andalusien hocherfreut zeigte. Er sei erfreut über „eine Wende dieser Größenordnung“. Eine scheinbar unüberwindbare Trägheit sei durch den spektakulären Wahlerfolg überwunden worden. Der spektakuläre Wahlerfolg, das waren die 11 Prozent und 12 Sitze im Parlament des „Bundeslandes“ Andalusien, die Vox erreichen konnte und die neben dem Erfolg der liberalen Ciudadanos die regierenden Sozialisten zum ersten Mal seit 40 Jahren  in die Opposition verbannt haben.

Wahlerfolg in Andalusien: Vox wird direkt eingebunden

Anders als in anderen Ländern soll Vox gleich nach dem ersten Wahlerfolg Verantwortung übernehmen: Die Partei soll eine Koalition zwischen der PP und den Ciudadanos dulden. Entsprechende Verhandlungen zwischen PP und Vox liefen erfolgreich. Die Rechtspopulisten konnten wesentliche inhaltliche Zugeständnisse abringen: So sieht der gemeinsame 37-Punkte-Plan neben verschärften Migrationsregeln auch die Abschaffung eines Schuldkult-Gesetzes zur „Aufarbeitung“ der Franco-Diktatur vor. Dieses soll durch ein „Gesetz der Eintracht“ ersetzt werden. Jagd, Stierkampf und katholische Osterbräuche sollen besonderen Schutz genießen, öffentliche Ausgaben reduziert und ausländischer Gesundheitstourismus verhindert werden.

Der Erfolg in Andalusien und die breite Unterstützungsbasis in Kreisen des politischen Katholizismus aber auch des Militärs scheinen Vox nun den Weg in die große Politik geebnet zu haben: Laut einer Umfrage in der Zeitung „El Mundo“ könnte Vox aktuell landesweit beeindruckende 13 Prozent der Stimmen erreichen und damit auch bei der anstehenden Europawahl Beeindruckendes erreichen.

Landesweit nun schon zweistellige Werte – 2019 wird ein spannendes Wahljahr

Gut möglich, dass bei eventuell vorgezogenen Parlamentswahlen 2019 oder den regulären im Jahr 2020 Migrationsromantiker Sanchez nach dem Vorbild von Andalusien abgewählt wird, denn seit dem Korruptionsskandal sind die erschlafft-mittigen Kräfte auch in der PP auf dem Rückzug. Deren neuer Chef Pablo Casado hat einen deutlichen Rechtsruck vollzogen und könnte auch in Madrid versucht sein, mit den Rechtsdemokraten zu kollaborieren.


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