Die Justizreform in Israel und ihre Kritiker

Fotomontage Manfred Breitenberger

Nach den Plänen der neuen Regierung in Israel unter Benjamin Netanjahu soll die Justiz reformiert werden. Die Richter des Obersten Gerichtshof sollen beispielsweise künftig vom gewählten Parlament ernannt werden und nicht länger von einem nicht gewählten Gremium. Seit Monaten gibt es in Israel Massenproteste gegen diese geplante Justizreform und gegen die Netanyahu-Regierung, hauptsächlich von Wählern der Opposition.  Benjamin Netanjahu ist davon überzeugt, die Opposition will die gewählte Regierung stürzen: “Die Tatsache, dass die Opposition zwei Monate lang auf unsere wiederholten Gesprächsaufrufe nicht reagiert hat, beweist, dass die Opposition nicht an der Reform interessiert ist, sondern an der Schaffung von Anarchie und dem Sturz der gewählten Regierung.” Die Justizreform sei dafür nur ein Vorwand so der israelische Ministerpräsident. Mit Blick auf die Autobahn- und Straßenblockaden, die Zerstörungswut der Demonstranten sagte Netanjahu: “Man kann nicht für die Rechtsstaatlichkeit sein und gleichzeitig zu Gesetzesverstößen aufrufen.” Knesset-Mitglieder werden in ihren Privatwohnungen von Demonstranten belagert und auf der Straße wird der Tod Netanjahus gefordert.

In den deutschen Einheitsmedien überschlagen sich die Kommentatoren wie üblich in der Verurteilung Israels und seiner „rechtsextremen“ Regierung. „Stirbt die Demokratie“ titeln „sorgenvoll“ die deutschen Zeitungen. Thomas M. Eppinger dazu sehr treffend in Mena-Watch: „Umso bemerkenswerter, wenn auch nicht überraschend, finde ich, dass Europa von der israelischen Innenpolitik nahezu besessen scheint. Jeder Nachrichtenleser oder -hörer kennt mittlerweile den Namen des neuen israelischen Ministers für nationale Sicherheit, Itamar Ben-Gvir. Die Namen der Innenminister von Rumänien, Tschechien oder Spanien dürften den Wenigsten bekannt sein.“

Nach der Ermordung von sechs Millionen Juden hat die bisher letzte Nachfolgerin Joachim von Ribbentrops, Bundesaußenministerin Annalena Baerbock, die nebenbei nach dem Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion mit 27 Millionen Ermordeten „Russland ruinieren“ will, Israels Pläne für eine Justizreform naturgemäß kritisiert. Baerbock wolle “nicht verhehlen, dass wir uns im Ausland Sorgen machen über einige gesetzgeberische Vorhaben in Israel”.

Israel hat wie viele westliche Länder keine Verfassung, dafür verschiedene Grundgesetze. Die Grundgesetze un­terscheiden sich von normalen Gesetzen nur durch ihren Namen. Das Oberste Gericht hat noch nie ein Grundgesetz für ungültig erklärt, aber die Richter sind der Auffassung, dies tun zu können. Eines dieser Gesetze regelt wie die fünfzehn Obersten Richter ernannt werden, die in erster Linie selbst ihre Nachfolger bestimmen. Wegen der sozialistischen Wurzeln Israels standen und stehen diese Richter politisch eher links, obwohl das Land sich vor allem wegen des ständigen Terrors der arabischen Nachbarn anders entwickelte und die Linke in den Wahlen seit Jahrzehnten in Israel kaum mehr eine Rolle spielt.

Wie notwendig und überfällig eine Justizreform ist zeigen folgende Beispiele. Obwohl vom Wähler nicht legitimiert können die Obersten Richter politischen Einfluss nehmen und Entscheidungen treffen.  Mit dem Instrument der „Verhältnismäßigkeit“ kann das Gericht willkürlich Entscheide der Regierung kippen, die es für „nicht vernünftig“ hält. Jede Richtlinie der Generalstaatsanwältin ist für die Regierung bindend, so hat sie absurderweise dem Ministerpräsidenten Netanyahu verboten, sich zur Justizreform zu äußern, weil ein Korruptionsprozess gegen ihn läuft. Das Oberste Gericht entscheidet ob jemand einen Ministerposten übernehmen darf oder nicht und es entscheidet ob die Regierung beispielshalber ein Gasabkommen mit dem Libanon treffen darf oder eben nicht.

Entgegen dem sonstigen Einheitsgewäsch war in der linken Monatszeitschrift Konkret ein wohltuend vernünftiges Interview mit Alan M. Dershowitz zur Justizreform zu lesen.  Alan M. Dershowitz ist ein US-amerikanischer Jurist, einer der bekanntesten Strafverteidiger der USA und seit 1993 Inhaber des Felix-Frankfurter-Lehrstuhls für Rechtswissenschaften an der Harvard University. Sein Buch „Plädoyer für Israel – Warum die Anklagen gegen Israel aus Vorurteilen bestehen“ ist zum Einstieg in den Nahost-Konflikt sehr zu empfehlen.

Alan M. Dershowitz: „Die vorgeschlagenen Justizreformen gefährden in keiner Weise die israelische Demokratie, in mancher Hinsicht stärken sie diese sogar. Sie entziehen einem nicht gewählten Gericht Einfluss und übertragen ihn den Vertretern des Volkes, der Knesset. Aber sie verletzen Minderheitenrechte und Bürgerrechte und andere Rechte. Man muss genau unterscheiden zwischen Demokratie, also der Herrschaft der Mehrheit, und bürgerlichen Freiheiten, die dafür sorgen, dass Menschen, die nicht die Mehrheit sind, auch Rechte haben. In vielen Ländern hat heute das Parlament das letzte Wort. Dort gibt es keine gerichtliche Kontrolle. Trotzdem sind es funktionierende Demokratien.

Die Reformen haben also überhaupt keine Auswirkungen auf die Demokratie, sie könnten aber Auswirkungen auf die bürgerlichen Freiheiten haben. Deshalb bin ich gegen sie. Aber das sollte man nicht überbewerten. Israel bliebe auch nach den Reformen einer der demokratischsten Staaten der Welt, mit einer dynamischen freien Presse und dem Recht anderer Meinung zu sein wie wir gerade sehen können: 100.000 Menschen protestieren. Man sollte also nicht annehmen, dass Israels Demokratie in Gefahr ist. Im Gegenteil. Ich glaube diese Diskussion geht am Thema vorbei.“

Auf das Argument, dass es in Israel sehr wenig Kontrollmechanismen für den Obersten Gerichtshof gibt, antwortet Dershowitz, dass dies in den USA ähnlich gelagert ist und er stellt die Gegenfrage: Warum interessieren sich die Deutschen und die Europäer so sehr für den innenpolitischen Streit in Israel. „Der geht euch nichts an“

Konkret: “Der Grund ist Antisemitismus, anders kann man es nicht erklären. Die deutsche Obsession resultiert zudem aus dem Wunsch der Normalisierung.”

Darauf Dershowitz: „Die Justizreformen in Israel sind ein Thema, bei dem vernünftige Menschen unterschiedlicher Meinung sein können. Ich bin größtenteils dagegen. Aber ich bin nicht besessen davon, ob etwa Deutschland eine angemessene gerichtliche Kontrolle hat, ob das Gericht in Straßburg einigen Ländern die Souveränität verweigert. Das interessiert mich wenig. Meine eigentliche Frage ist also: Warum gibt es unter den Europäern eine solche Besessenheit von Israel?“

 

Dershowitz weiter: “Ich denke, dass der Oberste Gerichtshof in Israel derzeit zu viel Einfluss hat. Er sollte nicht darüber entscheiden können, ob jemand wie Ade Deri in die Regierung gehört oder nicht. Das ist keine ordentliche richterliche Funktion. Er sollte nicht entscheiden, ob das Gasabkommen mit dem Libanon vernünftig oder unvernünftig ist. Ich wäre also für einen Kompromiss, beidem die Knesset wirtschaftliche und politische Entscheidungen des Gerichts ausheben könnte, aber keine Entscheidungen, die Minderheitenrechte, grundlegende bürgerliche Freiheiten und Menschenrechte betreffen. In diesen Fällen sollte der oberste Gerichtshof das letzte Wort haben.

Ich habe Benjamin Netanjahu diesen Kompromiss vorgeschlagen, als ich ihn etwa vor einem Monat in Israel sah, und er schien offen zu sein. Er benutze immer wieder das Wort Balance. Und deshalb hoffe ich, dass es zu einem Kompromiss kommen wird, bei dem das Oberste Gericht in einigen Fragen Einfluss verliert und in anderen Fragen Einfluss behält.“

Wie in vielen westlichen Demokratien gibt es in Israel natürlich auch Pseudolinke, Pseudoliberale und „woke“ Pseudo-Klimaretter. Wähler der aktuellen Regierung sind davon überzeugt, dass die Demonstranten nicht nur wegen der Justizreform auf die Straße gehen, sondern gegen das demokratisch gewählte Kabinett Netanjahu, das ihnen nicht passt und viele davon glauben, dass Demonstranten aus dem Ausland bezahlt (250 NIS pro Tag der Teilnahme) und gesteuert sind. Laut Israel National News wurde den Demonstranten per WhatsApp 70 Dollar plus Benzingeld geboten, um an der Blockade des Flughafens Ben Gurion am Donnerstag teilzunehmen.  Diverse NGOs finanzieren die Proteste, so zum Beispiel der New Israel Fund oder die NGO ACRI. ACRI wird unter anderem von der EU, der Friedrich-Ebert-Stiftung und der Rosa-Luxemburg Stiftung finanziert. ACRI führt zusammen mit NGOs wie HRDF und HaMoked seit langem eine Diffamierungskampagne gegen Benjamin Netanjahu.

Israel ist eine unabhängige Nation, die ihre eigenen Interessen verfolgt. Mit Hilfe der Sowjetunion wurde Israel gegründet, nicht zuletzt wegen seinen ursprünglichen sozialistischen Wurzeln. Die USA sind ein Verbündeter Israels, haben sich aber nicht immer hinter die Politik Israels gestellt, siehe die Suez-Krise, als sich Israel mit England und Frankreich verbündete. Der sogenannte von Obama eingefädelte Iran-Deal gefährdete die Existenz Israels, Donald Trump kündigte den faulen Deal und die aktuelle Biden-Administration macht da weiter wo Obama aufgehört hat. Israel war und bleibt klug genug sich nicht nur auf die USA zu verlassen.

Während des völkerrechtswidrigen Krieges der NATO, dem Bombardierungen mit Uran-Munition, gegen die zivile Infrastruktur gegen Jugoslawien unterstützte Israel die Serben. Ariel Sharon lieferte Waffen an die Serben. Scharon warnte vor der albanischen Kosovo-Autonomie und er warnte vor einem „Zentrum des islamischen Terrors“, er kritisierte die NATO-Bombardierung Jugoslawiens als einen Akt des „brutalen Interventionismus.“ Während des Krieges erklärte der Knesset-Abgeordnete Elyakim Haetzni, die Serben sollten die ersten sein, die israelische Hilfe erhalten und so hat Israel trotz UN-Embargo Waffen an Serbien geliefert. Zudem hat der jüdische Staat gegen den westlichen Mainstream seine Botschaft in Serbien unmittelbar nach dem Krieg eröffnet.

Nach wie vor liefert Israel keine Waffen an die Ukraine und beteiligt sich nicht an den Sanktionen gegen Russland was einen großen Teil der westlichen Politiker und deren angeschlossenen Medien fassungslos macht. Im Gegensatz zu den USA und Europas hat Israel die antisemitischen Bündnisse während des Holocaust nicht vergessen. Der westukrainische Antisemitismus, die entsprechende Geschichtsverfälschung und die Holocaustrelativierungen von westukrainischen Politikern und deren Unterstützern sind bei israelischen Politikern im Gegensatz zu den europäischen Politkern nach wie vor präsent.

Als Benjamin Netanjahu am 9. Mai 2018, am „Tag des Sieges“ als Ehrengast den sowjetischen Sieg über Nazi-Deutschland auf dem Roten Platz feierte und Seite an Seite mit Wladimir  Putin über den Roten Platz schritt, steckte an seinem Revers das St.-Georgs-Band, das Hauptsymbol des russischen Sieges im „Großen Vaterländischen Krieg“. Das schwarz-orange gestreifte Band ist auch das Symbol der von Russland unterstützten Kämpfer im Donbass. Bei der Militärparade zogen zehntausende Russen mit Porträts ihrer Vorfahren, die im Zweiten Weltkrieg bei der Roten Armee gedient hatten, an den Kremlmauern vorbei. Wladimir Putin trug ein Foto seines Vaters und Benjamin Netanjahu ein Porträt eines hochdekorierten jüdischen Rotarmisten, der Anfang der 1980er-Jahre als alter Mann aus der Sowjetunion nach Israel ausgewandert war.  Im Gegensatz dazu wird in den meisten westlichen Medien der Eindruck erweckt nur die USA, Frankreich und England haben gegen die Nazis gekämpft. Israel aber weiß, dass die Sowjetunion Auschwitz befreit und den größten Blutzoll, 27 Millionen Tote für die Befreiung vom Nationalsozialismus bezahlt hat.

Die Bennett-Lapid-Vorgängerregierung hatte Islamisten mit in der Regierung, paktierte mit Islamisten, die das Ende Israels herbeisehnen, was keinen der heutigen Kritiker interessierte. Naftali Bennett und die anderen Mitglieder dieser Regierung sollten sich nicht wundern, dass diese Regierung eindeutig abgewählt wurde und Benjamin Netanjahu mit seinem rechten Bündnis endlich eine klare Mehrheit in der Knesset hat. Dass die deutschen Politiker mit ihren angeschlossenen Einheitsmedien lieber Islamisten in Israel an der Macht sähen ist nun wahrlich keine neue Erkenntnis.

Es geht auch aus meiner Sicht weniger um die überfällige, in seiner Form noch leicht zu korrigierenden, israelische Justizreform, als um den Sturz des demokratisch gewählten Ministerpräsidenten. Unwillkürlich ist man an den vom westlichen Ausland finanzierten und orchestrierten Maidan-Putsch von 2014 erinnert. So enthüllte zudem die Journalistin Caroline Link, wie die Biden-Regierung die NGO Movement for Quality Government in Israel (MQG) finanziert, dem Drahtzieher der aktuellen Proteste. Der Republikaner aus Arkansas, US-Senator Tom Cotton beschuldigte Joe Biden und die Demokratische Partei am Regimewechselversuch beteiligt zu sein. Die USA und die EU versuchen offenkundig wieder einmal mit ihren Kombattanten im Namen der Freiheit und der Demokratie eine demokratisch gewählte Regierung zu stürzen. Antisemitismus und die eigenständige geschichtsbewusste Politik Israels und Netanjahus sind die Gründe der antiisraelischen Gegnerschaft. Es bleibt zu hoffen, dass die Insel der Aufklärung dem widersteht und weiterhin der Fels in der Brandung bleibt.

Man muss mich nicht zwingen, Benjamin Netanjahu hochleben zu lassen. Ich bin seit vielen Jahren bereit dazu.

Gleichzeitig veröffentlicht bei Mission Impossible

 

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