Von Norbert Zerr.
Ich denke, dass sich der Polizeiberuf, speziell im operativen Dienst, nur schwerlich mit anderen Berufen vergleichen lässt. Täglich, wenn auch meist verdrängt, setzt man sein Leben und die körperliche Unversehrtheit für die Sicherheit der Bevölkerung aufs Spiel.(…)
Richtig bewusst wurde mir erstmals diese latent vorhandene Gefahr bei der Festnahme eines Bankräubers. Dabei gerieten mein Kollege und ich in eine lebensbedrohliche Situation, in die jeder Polizeibeamte blitzschnell geraten kann. Es ist ein unbeschreibliches Gefühl, wenn eine aufkommende Todesangst die Gedankenwelt und das Handeln bestimmt. Exakt diese Gefühlslage wurde mir oft genug auch aus dem Kollegenkreis bestätigt.
Ich dachte zuerst an meine Frau und meine beiden Kinder. Das Leben läuft in solch kritischen Situationen wie ein Film vor dem inneren Auge ab. Dabei sollte man versuchen, die entstandene Situation zu bewältigen oder zumindest zu entschärfen.
Kriminellen mit Respekt, aber selbstsicher begegnen
Eine dabei getroffene falsche Entscheidung oder Überreaktion kann dem eigenen Leben schlagartig ein Ende setzen. Ich zitterte am ganzen Körper, als ein Bankräuber, der nichts mehr zu verlieren hatte, auf mich zulief: „Schieß doch, auf, los schieß doch, wenn du dich traust!“ Dabei kam er mir immer näher, während ich versuchte, auf Distanz zu gehen. Was tun? Einfach davonzulaufen, war nicht möglich.
Seine Komplizin hatte eine abgesägte Pumpgun auf mich gerichtet. Mein Kollege indessen zielte mit seiner Waffe auf die Komplizin. Mit geduldigem Zureden gelang es mir schließlich, die Lage zu entspannen und eine Schießerei mit sicher tödlichen Folgen zu verhindern. Dieser auf Banküberfälle spezialisierte Kriminelle saß davor schon einige Jahre im Knast. Ich erinnere mich noch gut an diese Situation: Er war von mächtiger Statur, ein einziges Muskelpaket. Bei einer körperlichen Auseinandersetzung hätten wir große Probleme bekommen. Wie wir erfuhren, schlug er auf einer vorausgegangenen Flucht mehrere Polizeibeamte zusammen.
Damals, vor über zwei Jahrzehnten, im Rahmen meines Studiums, während dem ich eine Zeitlang bei Fahndungen mitarbeitete, war es noch leichter möglich, Banken zu überfallen und größere Summen zu ergaunern. Mein Glück war in diesem konkreten Fall, dass ich dem Kriminellen zwar mit Respekt, aber selbstsicher begegnet bin. Anschließend dachte ich, mein Körper gäbe auf und ich würde augenblicklich zusammenbrechen. Aber ich hatte keine Zeit, mich zu entspannen oder wenigstens zu sammeln, die aufgetretene Hektik des Geschehens ließ dies nicht zu.
Bis spät in die Nacht hinein waren mein Kollege und ich unter Dauerstress mit dem Fall beschäftigt. Die erfolgreiche und problemlose Festnahme des Bankräubers erfolgte dann am nächsten Morgen.
Verletzende Kritik nach der Festnahme
Nun, wie reagierten unsere Vorgesetzten? Dem Direktionsleiter konnte man ohnehin nicht über den Weg trauen, außer man sonnte sich in seiner Gunst. Zu seinen erklärten Günstlingen gehörten weder mein Fahndungskollege Helmut noch ich.
Mit dem richtigen Parteibuch ausgestattet, schaffte es unser Vorgesetzter in die oberste Führungsposition. Eine totale Fehlbesetzung, wie ich auch heute noch nach Jahren der Distanz feststellen muss. Der ihm untergeordnete Kripochef war die gleiche Fehlbesetzung. Die Worte des Kripochefs, als er in unser Fahndungsbüro kam, glichen einem Vorwurf. Ich kann mich noch genau daran erinnern.
Dieser Kripochef ähnelt dem bekannten Hollywoodschauspieler Donald Sutherland. Allerdings ging es bei uns um keinen unterhaltsamen Kriminalfilm. Was war aber der Grund für die Vorhaltungen des Kripo-Chefs? Ehrlich gesagt, nach einem derartigen lebensbedrohlichen Einsatz erwartet man nicht unbedingt eine solche verletzende Kritik wie: Wir hätten unzutreffende Vorbereitungen für die Festnahme getroffen. Zudem beschwerte sich der Direktionsleiter, dass nicht er das erste Fernschreiben über den Sachstand erhalten hatte. So etwas aber auch.
Bei Kritik an Vorgesetzten ist die Karriere vorbei
Die Staatsanwaltschaft war nämlich bereits informiert worden, nur er noch nicht. Wir mussten doch zunächst die Festnahme regeln und organisieren, erklärte ich dem Kripochef. Da kann das schon einmal passieren, dass der Chef vergessen wird. „Egal“, meinte Donald Sutherland, „der Chef geht immer vor“.
Mein Kollege war ein besonderer Typ. Er scheute vor nichts zurück und hatte bereits einmal dem Direktionsleiter bei einer Personalversammlung attestiert, dass dieser menschlich absolut untauglich für seine Position sei. Alle dachten garantiert das Gleiche, aber keiner traute sich, auch nur einen Mucks zu machen.
Jeder zustimmende Blick hätte falsch gedeutet werden können. Dann lieber weg- oder auf den Boden schauen.
Es versteht sich nach seiner Aktion bei der Personalversammlung von selbst, dass mein Kollege auch diesmal umgehend die auf uns einprasselnde Kritik konterte. Er gab dem Ebenbild von Hollywood-Schauspieler Donald Sutherland unmissverständlich zu verstehen, dass es besser wäre, er würde uns jetzt unsere Arbeit erledigen lassen. Wer schon zu meiner Zeit gegenüber Vorgesetzten kein Blatt vor den Mund nahm, musste damit rechnen, dass sein Karriereweg entweder beendet oder schwer behindert wurde. Selbst wenn er im Recht war. Bis heute hat sich daran nichts geändert. Es ist nur alles extremer und subtiler geworden.
Viele Vorgesetzte werden ihrer Verantwortung leider nicht gerecht
Mein Fahndungspartner imponierte mir. Eigentlich ein Exot innerhalb der Polizei. Fachlich und als Polizeibeamter hervorragend, menschlich charakterstark und geradlinig. Er nahm bei keinem Vorgesetzten ein Blatt vor den Mund. Es war deshalb nur eine Frage der Zeit, bis er die Dienststelle wechseln würde. Später fanden wir noch einmal Kontakt miteinander. Er war unterdessen in die Ermittlungen betreffs Türkischer Ehrenmord eingebunden. Genau sein Metier. Mit Türken verstand er sich bestens, was mir bereits bei unseren gemeinsamen Fahndungseinsätzen aufgefallen war.
Diese Fahndungseinsätze bedeuteten gewiss keine Routine, denn immer wieder betraten wir Neuland, selbst nach Jahren operativen Polizeidienstes. Wir passten als Fahndungsteam erstklassig zusammen und arbeiteten an einigen nicht alltäglichen Fällen, darunter auch Mordermittlungen. (…)
Dieses Erlebnis mit dem Bankräuber und der damit verbundenen Todesangst verfolgt mich bis heute. Immer wieder rückt es in mein Bewusstsein, gerade bei der aufgekommenen Diskussion über die Polizeiarbeit. Ich hätte in Aufopferung für dieses Land, insbesondere für diese FDGO (Freiheitlich Demokratische Grundordnung) und natürlich für die Innere Sicherheit schon mit Anfang Dreißig tot sein können. (Eine persönliche Anmerkung zu dem, was der Polizei im Allgemeinen und als selbstverständlich abverlangt wird.) Gleichzeitig wird an meinem Beispiel deutlich, dass leider sehr viele Vorgesetzte ihrer Verantwortung nicht gerecht werden. (…)
Warum verstehen Politiker nicht, was auf der Straße abgeht?
Das größere Führungsproblem ist jedoch dort angesiedelt, wo die wichtigen Entscheidungen getroffen werden. Entweder gleich im Ministerium oder in den darunter liegenden Ebenen. Dabei sollte die Polizei idealerweise so funktionieren, wie es dem Willen der Bevölkerung entspricht. Dieser Wille deckt sich aber meist nicht mit der parteipolitischen Praxis. Diese Diskrepanz zwischen politischem Willen und der polizeilichen Praxis machte mir bereits in meiner aktiven Zeit zu schaffen.
Ich fragte mich immer wieder, warum gibt es diesen Zwiespalt, warum sehen oder verstehen Politiker nicht, was auf der Straße abgeht? Inzwischen haben wir Zustände, die gelegentlich einem Irrenhaus gleichen. Jeder will auf seine Art die Welt und die Menschen verbessern. Ideologische und emotionale Fronten prallen aufeinander und unterbinden damit jede sachliche Auseinandersetzung. Und zwischen allen Ideologien steht die Polizei als Buhmann.
Aktuell wird der Polizei latenter Rassismus vorgeworfen. Eine schwerwiegende Unterstellung, die leichtfertig über die Köpfe der Polizeibeamten nach dem Gießkannenprinzip verteilt wird. Vermutlich folgt demnächst die Gleichung: Polizei gleich Nazi. Linke Ideologen arbeiten mit großem Eifer daran. Jeder vernünftige und nicht verblendete Mensch, und dazu zähle ich mich, merkt doch inzwischen, dass in diesem Land vieles schief läuft und immer mehr aus den Fugen gerät.
Bei diesem Text handelt es sich um einen Auszug aus dem Buch „Polizei im Fadenkreuz. Innere Sicherheit auf Untergangskurs“ (hier bestellbar) des pensionierten Polizei-Hauptkommissars Norbert Zerr, der einige Zeit auch CDU-Bürgermeister nahe Tuttlingen war. Lesen Sie dazu auch das Vorwort von Boris Palmer. Der Beitrag erschien zuerst am 13.11.2020 auf DIE ACHSE DES GUTEN. ACHGUT.COM.
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