Richtig gendern? Nein! Gendern richtig kritisieren! (Lektion 5+6)

Eine Argumentationshilfe für Menschen, die nicht gendern wollen, weil sie die Sprache lieben, in sechs Lektionen

von Paul Pfeffer


5. Lektion: Gendern ist ein akademisches Gewächs, es hat mit der Alltagssprache der meisten Menschen nichts zu tun – Gendern spaltet die Sprachgemeinschaft

Das Gendern der Sprache ist im akademischen Umfeld entstanden und lange Zeit auch dort geblieben. Erst in letzter Zeit wird es durch den Aktivismus von Genderprofessorinnen sowie Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten und deren Nachahmerinnen in Verwaltungen, Medien, Parteien verbreitet. Wer gendert, kann sich als Speerspitze des Feminismus und gesellschaftliche Avantgarde fühlen, ohne viel dafür einzusetzen. Mehr noch: Das Gendern ist in einigen Bereichen ein soziales Distinktionsmerkmal geworden. Man grenzt sich dadurch von anderen, weniger „fortschrittlichen“ Sprecherinnen und Sprechern ab und fühlt sich als Sprachvorbild.

Dabei werden sprachwissenschaftliche Gegenargumente ignoriert.

Repräsentative Umfragen zeigen, dass das Gendern von einer kleinen, aber einflussreichen Minderheit propagiert und angewendet wird. Sprecherinnen und Sprecher ohne akademische Vorbildung lehnen es intuitiv ab. Sie haben das Gefühl, dass es nicht zu ihrer Art zu sprechen passt. Die Ablehnung liegt je nach Befragung und Fragestellung zwischen 60% und 80%, etwa 12% ist es egal, und 10% wenden es an (siehe auch 2. Lektion). Die Frage ist deshalb erlaubt, woher die Befürworter des Genderns die Legitimation nehmen, Vorschriften, Regeln, Empfehlungen herauszugeben und die Verweigerung innerhalb ihres Einflussbereiches mit Sanktionen zu belegen.

Dialektsprecherinnen und Dialektsprechern käme es niemals in den Sinn, im Dialekt zu gendern.

Wegen der mangelnden Praktikabilität (Sprachökonomie!) müssen Ausnahmen geschaffen werden, zum Beispiel für den juristischen Bereich, was unterschiedliche Sprachwelten schafft und die Verwirrung vergrößert.

Im schlimmsten Fall spaltet das Gendern die Sprachgemeinschaft in solche, die gendern, und solche, die es ablehnen. Es schafft auf diese Weise überflüssigerweise soziale Gräben.

– Gendern in der Literatur

Sollen literarische Texte (Gedichte, Erzählungen, Romane) gegendert werden? Sollen bereits geschriebene Texte nachträglich gegendert werden? Fast alle Dichter und Schriftsteller lehnen das ab und halten das Gendern ihrer Texte für eine Zumutung.

Besonders problematisch ist das nachträgliche Verändern von literarischen Texten nach den neuen Regeln der politischen Korrektheit, das von den meisten Sprachfeministinnen gefordert wird. Das bekannteste Beispiel ist die Verwandlung von Astrid Lindgrens „Negerkönig“ in einen „Südseekönig“. Schade, dass wir die Autorin nicht mehr zu dieser “Verbesserung” ihres Textes befragen können.

– Gendern schafft für die deutsche Sprache einen Sonderstatus

Die einzige Sprache, in der versucht wird, systematisch zu gendern, ist zurzeit das Deutsche. Andere Sprachen haben nur zwei Genera (z. B. Französisch, Italienisch) Wer angesprochen ist, wird dort durch entsprechende sprachliche Marker (im Englischen he/she bzw. girlfriend/boyfriend) und den Kontext ausgedrückt. Etwa 55% der Sprachen haben gar keinen Genus, sind also 100% „geschlechtergerecht“. Große Vertreter sind hier Chinesisch, Persisch (Iran, Afghanistan), Türkisch, die meisten kurdischen Sprachen, Japanisch und weitere. Keines dieser Länder ist als ein Land bekannt, in dem die Gleichstellung der Geschlechter besondere Erfolge erzielt hat. Vielmehr wird gerade in diesen Ländern die traditionelle Rolle der Geschlechter sehr betont.

Französische, italienische, englische, türkische Frauen haben in der Regel kein Problem mit ihren Sprachen. Sie würden sich vehement wehren, wenn ihre Sprache derart verschandelt würde.

Aus französischer, italienischer, englischer, türkischer Sicht wirkt das deutsche Gendern merkwürdig, verschroben, übertrieben, „typisch deutsch“.

– Gendern kostet Geld, weil Formulare, Aufschriften, Schriftstücke aller Art (z. B. in Behörden) neu hergestellt werden müssen

Das ist zwar kein sprachwissenschaftliches Argument, aber trotzdem wichtig, weil die Kosten für Gender-Anleitungen sowie neue Formulare in Behörden und Institutionen von den Steuerzahlern aufgebracht werden müssen. Es sind bereits große Summen dafür ausgegeben worden (jüngstes Beispiel: Stadtverwaltung Hannover), von den indirekten Kosten für Gleichstellungsbeauftragte und Gender-Professuren ganz zu schweigen.

6. Lektion: Kritisches Fazit aus sprachwissenschaftlicher Sicht

Das Gendern der Sprache ist bereits im theoretischen Ansatz problematisch, weil der Impuls von der Gender-Theorie ausgeht, nicht vom tatsächlichen Sprachgebrauch. Sprache verändert sich aber durch den Sprachgebrauch und nicht am sprachfeministischen Reißbrett. Sie verändert sich von unten nach oben, nicht umgekehrt, es sei denn, man betreibt bewusst Sprachpolitik in politischer/manipulativer Absicht.

In der praktischen Wirkung ist das Gendern der Sprache kontraproduktiv. Mehr Geschlechtergerechtigkeit wird nicht durch Sprachvorschriften erreicht, sondern durch politische und gesellschaftliche Veränderungen, wie sie in den letzten vierzig Jahren verstärkt stattgefunden haben. Dieser Prozess wird weitergehen, und die Sprache wird ihn angemessen abbilden. Das kann vielleicht etwas länger dauern, als bestimmte Aktivisten es sich wünschen. Eine feministische Sprachpolitik braucht es dazu nicht. Es ist – nebenbei bemerkt – schon irritierend, wenn ausgerechnet Menschen, die sich selbst für sensibel und achtsam halten, keine Skrupel haben, die Sprache zu misshandeln.

Oft wird argumentiert, es würden ja lediglich Vorschläge gemacht. Jeder könne es mit dem Gendern halten, wie er wolle. Das verkennt aber die Realität. Abgesehen davon, dass man nicht mehr von „Vorschlägen” sprechen kann, wenn ins Sprachsystem eingegriffen wird, ist das Gendern inzwischen durch feministische Sprachwissenschaftlerinnen sowie Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte an Universitäten, Verwaltungen, Parteien und anderen Institutionen zum Standard erhoben worden. Obwohl die Verfechter des Genderns eine kleine Minderheit sind, haben sie großen Einfluss. Ihr Hebel ist eine bestimmte Moral.

Wer sich der neuen Sprachpolitik verweigert, gilt als rechts, frauenfeindlich, reaktionär, gestrig. Sachargumente aus der Sprachwissenschaft haben keine Chance, denn nicht die Sache – die Sprache – ist wichtig, sondern die „richtige“ Gesinnung.

Letztlich geht es um Deutungshoheit und Macht. Der Mehrheit soll eine Sprachregelung verordnet werden, um das Bewusstsein in Richtung der Gender-Theorie zu verändern. Man kann das auch Manipulation und Bevormundung nennen. Geschlechtergerechtigkeit wird dadurch nicht befördert, eher im Gegenteil. Das Gendern der Sprache durch eine Minderheit aus dem akademischen Umfeld erweist der Sache der (Frauen)-Emanzipation einen Bärendienst, weil die Veränderungen im Kern sprachfremd sind und weil die große Mehrheit (laut Umfragen ca. 60-80%) der Sprecherinnen und Sprecher Eingriffe „von oben“ in das Sprachsystem ablehnt.

Die Frage, ob das Gendern zu mehr Geschlechtergerechtigkeit führt, kann also mit einem klaren Nein beantwortet werden.

Die Ablehnung des Genderns durch eine klare Mehrheit der Sprecherinnen und Sprecher ist oft intuitiv, weil die meisten Menschen wenig Einblick in das Sprachsystem haben, aber merken, dass da etwas in die falsche Richtung läuft. Die Zustimmung auf der anderen Seite ist oft blind, weil sie aus einer Mischung aus Unkenntnis über die Funktionsweise der Sprache, schlechtem Gewissen und falscher Solidarität mit feministischen Aktivistinnen erfolgt.

Es ist zu hoffen, dass das Gendern Episode bleibt, weil es von der Mehrheit der Sprecherinnen und Sprecher nicht angewendet wird. Die deutsche Sprache wird es hoffentlich abschütteln, wie sie schon so manche Eingriffe von verschiedenster Seite abgeschüttelt hat.

Zusammengefasst:

– Die aktuell geltenden Formen der deutschen Sprache reichen aus, um hinreichend zu differenzieren und auch die Frauen „sichtbar zu machen“. Respekt und Wertschätzung hängen nicht von der Sprache als System ab, sondern von den Einstellungen der Sprecher. Gendern legt ein unangemessen großes Gewicht auf den Sexus, und zwar auch dort, wo er keine Rolle spielt.

– Die Sprache entwickelt sich weiter über den Sprachgebrauch, nicht durch Sprachregelungen von oben. Sie wird sich über den Sprachgebrauch in Richtung auf mehr Geschlechtergerechtigkeit wandeln, wenn in der gesellschaftlichen Realität mehr Gerechtigkeit erreicht ist.

– „Feministische Sprachwissenschaft“ ist vergleichbar mit „katholischer Mathematik“. Sie ist in Gefahr, Denkverbote zu errichten und das herauszufinden, was sie vorher an Prämissen hineingesteckt hat. Insofern handelt es sich nicht um ergebnisoffene Wissenschaft, sondern um politischen Aktivismus und letztlich um Ideologie. Undurchdachte und ideologisch motiverte Eingriffe von dieser Seite in das gewachsene Sprachsystem sind nicht nur überflüssig, sondern verursachen grammatisches Durcheinander. Sie schaffen viele neue Zweifelsfälle und sprachliche Unklarheiten, manchmal sogar sprachlichen Unsinn.


Hier gibt es das Gesamtwerk als PDF

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Über Paul Pfeffer

Ich bin Autor, Verleger (Edition Pauer), Germanist und Sprachwissenschaftler. Aus sprachwissenschaftlicher Sicht ist das Gendern sehr problematisch, weil es grundlegende Strukturen des Sprachsystems ignoriert. Die Diskussion wird meines Erachtens zu emotional und zu oberflächlich geführt. Es geht allzu oft nicht mehr um die Sache – die Sprache – sondern um die richtige Gesinnung. Ich versuche durch meinen kritischen Beitrag eine Versachlichung des Diskurses zu erreichen. 

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